Wahlplakate und ihre Botschaft: eine Schulstunde
Plakate der Direktkandidaten unter der Lupe: Aussageverweigerung und allgemeine Harmlosigkeit dominieren auf Partei-Aushängen – Eine Polemik
Porträts, per Bildbearbeitung komplett geglättet, verkünden dieser Tage nur eins: Wähl mich! Haben unsere Direktkandidaten auch eine politische Aussage? Eine persönliche, auch polemische Plakat-Betrachtung.
KREIS BAD KREUZNACH. Da hängen sie wieder, unsere Direktkandidaten. Und wollen gewählt werden. Bei den Wahlplakaten ist’s ein bisschen so wie früher in der Grundschule. Die Schüler werfen verzweifelt die Arme hoch, schnipsen mit den Fingern, aus ihren Mündern kommt ein lautes „Mmh, mmh“ – alles, damit die Lehrerin sie drannimmt. Julia Klöckner (CDU), Fritz Rudolf Körper (SPD), Walter Jung (FDP), Stephanie Otto (Grüne) und Tanja Krauth (Linke) wollen drankommen, ans Direktmandat. Und werben plakativ.
„Jetz“ stellen wer ons ma janz domm und frachen ons: wat is en Wahlplakat?“ Es hilft: wie immer Wikipedia (ja, auch Journalisten können faul sein …). Dort erfährt der Leser, dass drei Dinge ein Plakat zum Plakat machen. Es besteht aus mit Text und Bild bedrucktem Papier, es ist in der Öffentlichkeit an dafür geeigneten Plätzen zu sehen und – Tusch, tata! – es enthält eine Botschaft. Echt?
Julia Klöckner
„Jetzt darf die Julia was sagen. Julia, was ist denn die Botschaft Deines Wahlplakats?“, würde die sichtlich übermüdete, nicht gerade hochbezahlte und trotzdem irgendwie weitermachende Grundschullehrerin, die das Volk darstellt, die kleine CDU-Kandidatin aus Guldental fragen. Und die würde ihr schönstes Lächeln aufsetzen und mit keckem Augenaufschlag antworten: „Wählt mich!“ Und tatsächlich: Klöckners Wahlplakat ist von einer Inhaltsleere fast ohnegleichen geprägt.
„Julia Klöckner wählen“ steht da. Da drängt sich nur noch eine Frage auf: warum? Doch das Plakat schweigt hierzu. Okay, die Ex-Weinkönigin zieht sich elegant aus der Affäre, indem sie auf ihrer Webseite darauf verweist, dass ihre Unterstützer über verschiedene Plakatvorlagen abgestimmt hätten. Doch macht es das wirklich besser?
Aber es geht noch inhaltsleerer: Inzwischen zurecht vergilbt sind alte Klöckner-Plakate mit dem Satz „Julia Klöckner wünscht ihnen einen schönen Sommer“. War da in der Werbeagentur der Praktikant besoffen?
Fritz Rudolf Körper
Die müde Lehrerin lächelt tapfer und nimmt als nächstes den kleinen Fritz dran. „Na Fritz Rudolf, was ist denn Deine Botschaft?“ Fritz grinst ein bisschen verlegen und sagt laut: „Fritz“. „Ich weiß doch, wie Du heißt, Fritzchen, aber was ist Deine Aussage?“ Und wieder schallt’s aus Kindermund: „Fritz“. Denn wie soll man das Körper’sche Wahlplakat anders verstehen? Der Kandidat der SPD kann sich ja noch nicht einmal mehr dazu aufraffen, dem Wähler anzuempfehlen, sein Kreuz beim Pastoren aus Rehborn zu machen. Einfach nur „Fritz Rudolf Köper“ und darunter die Internetadresse? Weil da steht, was Herr Körper eigentlich will? Ich will aber von diesem Plakat informiert werden! Jetzt!
Halt, da steht ja noch was. Klein unter dem SPD-Logo im roten Würfel. Hat er vielleicht doch … und traut sich nicht so richtig, weil‘s so aufrüttelnd ist? Ist ja schließlich Sozialdemokrat, die trauen sich ja nie so revolutionäre Sachen, muss man ja verstehen …
Von wegen: „Anpacken. Für unser Land“ steht da. Ja, klar, für unser Land? Für welches denn sonst? Simbabwe? Und was will er anpacken? Hier schweigt Herr Körper.
Oder will er damit andeuten, dass er gedenke, im Bundestag politisch zu arbeiten? Ja, das will ich doch hoffen! Warum sollte man ihn sonst wählen? Von daher ist dieser Slogan nur eins: Dummes Zeug. Passt aber gut zum Restplakat.
Walter Jung
Kommen wir zu den Liberalen. Dem kleinen Walter tut bestimmt schon das Ärmchen weh. Auch hier: Kandidatenrübe in Groß, Name vorhanden, Parteifarben auch. Grundkurs also bestanden – wie bei den anderen auch. Kommen wir zur Kür: Walter Jung hat einen Wahlslogan – und der ist deutlicher erkennbar als zum Beispiel bei Fritz Rudolf Körper.
„Ihre Stimme für die Freiheit“ steht da – zugegeben, den hat die FDP schon öfters, eigentlich ziemlich oft und bei jeder Gelegenheit benutzt, aber immerhin. Nur: welche Freiheit? „Meine Freiheit muss noch lang nicht Deine Freiheit sein“, sang einst der Altmeister des schwarzen Humors, Georg Kreisler (lebt noch, aber singt nicht mehr). Recht hat er.
Freiheit: Das ist ein ideologisch von allen Seiten so überfrachteter Begriff, dass er alles bedeuten kann: Da wäre die Freiheit, jemanden schneller zu feuern, aber auch die „Freiheit von Angst“, die in der US-Verfassung garantiert (!) wird, die Freiheit, die immer „die Freiheit der Andersdenkenden“ ist, aber auch „keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ (beides Rosa Luxemburg – das ist Dialektik!). „Für die Freiheit“: Eine Aussage wäre das nur, wenn einer der anderen Kandidaten darauf antworten würde: „Freiheit? Och nö, ich bin lieber für die Unfreiheit.“
Da bleibt der Lehrerin nur, den kleinen Walter resigniert aufzufordern, sich wieder zu setzen. Immerhin: Ein bisschen mehr Mühe gegeben als die zwei davor hat er sich. Hat nur nichts genützt.
Tanja Krauth
„Ja, Tanja? Was ist Deine Botschaft?“ Die Linksblondine plappert los: „Damit es im Land gerecht zugeht.“ Ja, so steht das auf dem ansonsten im Vergleich zu den anderen Plakaten völlig analog aufgemachten Druckwerk.
„Tanja, was habe ich denn gerade versucht, dem Walter zu erklären, hm? Gerechtigkeit ist ein mindestens genauso überladener Begriff wie Freiheit. Jeder, der sie noch alle beisammen hat, ist für Gerechtigkeit. Aber was für den einen gerecht ist, muss es noch lange nicht für den anderen sein. Außerdem ist das der Wahlslogan der Partei, nicht Dein eigener.“
Pause. „Ihr kommt doch jetzt mal fünf Minuten ohne mich zurecht, oder? Ich brauch‘ dringend ‘ne Aspirin …“ Lehrerin schnellen Schrittes ab und Vorhang.
Stephanie Otto
Fünf Minuten später: Lehrerin hat Kopfweh, ist aber wieder am Platz. Versucht, zu lächeln: „Stephanie, wie steht es denn mit Dir?“ Die kleine grüne Rackerin grinst: „Aus der Krise hilft nur Grün“, steht da über dem Bild der Kandidatin, das sie neben einer Sonnenblume zeigt.
Leider ist dies das Motto der gesamten grünen Bundeswahlkampagne, wodurch die Aussage der Kandidatin mal wieder auf ihren Namen reduziert wird. Hätten Sie bei „aus der Krise hilft nur Grün“ messerscharf geschlossen: Au ja, die wollen einen neuen Gesellschaftsvertrag? Soll’s aber bedeuten.
Andere Möglichkeit: Kandidatin Otto hatte eine Krise, ließ sich zur Behebung derselben von den Grünen als Kandidatin aufstellen und – schwups – war die Krise weg. Auch nicht? Vielleicht Farbtherapie … ??? „Ich geb‘s auf. Die nächste Stunde ist am 27., Kinder. Bis dahin habt ihr mir in drei Sätzen zu beschreiben, was eine Botschaft ist – und wehe, es schreibt einer ‚diplomatische Vertretung‘ …“
Stefan Butz
Oeffentlicher Anzeiger vom Donnerstag, 17. September 2009, Seite 31.